Expertenmeinung aus der Praxis:

Interview mit Priv.-Doz. Dr. med. Roman Eickhoff, Oberarzt in der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie des Universitätsklinikum Aachen

Lieber Herr Dr. Eickhoff, wir bedanken uns herzlich dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um Ihre telekonsiliarischen Erfahrungen mit uns zu teilen. Das Telekonsil hat insbesondere durch die COVID-19 Pandemie stark an Bedeutung gewonnen. Könnten Sie uns bitte erläutern, wie sich ein Telekonsil von einem klassischen Konsil unterscheidet?

Bei einem klassischen Konsil wird eine Ärztin bzw. ein Arzt zur Beurteilung einer bestimmten medizinischen Fragestellung hinzugezogen. Dies kann sowohl im eigenen Krankenhaus, beispielsweise bei der Aufnahme eines Patienten, oder in einem anderen Krankenhaus geschehen.

Im Gegensatz dazu wird bei einem Telekonsil eine Patientin oder ein Patient aus einem anderen Krankenhaus mithilfe digitaler Kommunikation beurteilt. Das bedeutet, dass Informationen zu einer Patientin bzw. zu einem Patienten sowie auch die entsprechende medizinische Fragestellung z.B. über eine digitale Fallakte übermittelt werden können. Auch der Konsilbericht wird im Anschluss digital an die Konsilnehmerin bzw. den Konsilnehmer übermittelt. Bisher erfolgte die Übermittlung von Anfragen auf sehr unterschiedlichen Wegen. Das reicht von Faxanfragen, über E-Mails bis hin zu Arztbriefen auf postalischem Weg. Ein einheitliches Vorgehen gibt es hier nicht. Es kommt auch vor, dass Patient:innen einen sehr langen Anfahrtsweg für einen Sprechstundentermin in Kauf nehmen, um hauptsächlich Ihre medizinischen Unterlagen zu überbringen. Dies ist wohl der größte Unterschied zwischen einem klassischen Konsil und einem Telekonsil, da die Daten bei einem Telekonsil in einem komplett digitalen, datenschutzkonformen und strukturierten Workflow übermittelt und im Vorfeld beurteilt werden können. Das spart wertvolle Zeit, die insbesondere bei dringlichen Fragestellungen von hoher Bedeutung ist. Die Kommunikation mit einer Konsilnehmerin bzw. einem Konsilnehmer wird durch den persönlichen Austausch mittels Videokonferenz oder Telefonat unterstützt. Insgesamt kann man sagen, dass mit einem Telekonsil vor allem eine enorme Zeitersparnis verbunden ist, die nicht nur den Patientinnen und Patienten und der Behandlung zugutekommt, sondern auch innerhalb unserer Abteilung wertvolle Zeit einspart.

Etablierte Prozesse in einem Krankenhaus zu digitalisieren kann durchaus herausfordernd sein. Können Sie uns bitte erzählen, welche anfänglichen Schwierigkeiten Ihre konsilgebende Einrichtung gemeistert hat, um letztendlich einen Routinebetrieb als Konsilgeber aufzubauen?

Ein großer Vorteil ist für uns die enge Zusammenarbeit mit unserer IT-Abteilung. Diese war von Anfang an in den Gesamtprozess mit einbezogen und fester Bestandteil in allen Abstimmungsgesprächen. So konnten die technischen Voraussetzungen zur Durchführung von Telekonsilen sichergestellt werden. Auch bei aufkommenden Problemen und Prozessänderungen werden wir hier durch eine direkte Anbindung an die IT-Abteilung bestmöglich unterstützt. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang geklärt werden musste, ist die Beantwortung von datenschutzrechtlichen sowie haftungsrechtlichen Fragestellungen. Dies ist bei der Einführung von digitalen Prozessen üblich und konnte durch die enge Zusammenarbeit mit unserer juristischen- und datenschutzrechtlichen Abteilung ohne größeren Zeitaufwand abgeschlossen werden. Auf Seiten unserer Konsilnehmer:innen sind die Herausforderungen zum Teil komplexer. So führen insbesondere fehlende zeitliche Ressourcen in den IT-Abteilungen von kleineren Krankenhäusern häufig dazu, dass sich der Anbindungsprozess an das Netzwerk des Virtuellen Krankhauses in die Länge zieht. Eine zu niedrige Priorisierung von solchen Digitalisierungsprojekten kann ebenfalls dafür verantwortlich sein, dass die IT-seitigen Voraussetzungen für Telekonsile nicht erfüllt werden. Je länger dieser technische Anbindungsprozess dauert, desto geringer ist dann natürlich auch die Bereitschaft, sich auf einen digitalen Workflow einzulassen. Unabhängig von dieser technischen Komponente existieren auf Seiten der Konsilnehmer:innen teilweise auch noch Vorbehalte gegenüber Telekonsilen. Das Thema Datenschutz spielt sicherlich eine große Rolle. Meine Kolleg:innen und ich gehen daher regelmäßig in den persönlichen Austausch mit den verantwortlichen Kolleg:innen der anderen Krankenhäuser. Wir weisen dabei immer wieder darauf hin, dass mit dem Telekonsil und der Änderung des Workflows vor allem eine Vereinfachung für Patient:innen und Mitarbeiter:innen verbunden ist.

Können Sie uns bitte erklären, welche digitalen Anwendungen im Rahmen eines Telekonsils zum Einsatz kommen?

Im Wesentlichen sind es zwei Komponenten, die bei einem Telekonsil zum Einsatz kommen: Die elektronische Fallakte ist das Herzstück des Telekonsils. Sie bietet die Grundlage für ein rechtssicheres und zeitsparendes Konsil. Aktuell wird diese von zwei Firmen bzw. Providern bereitgestellt: dem Rechenzentrum Volmarstein und der Nexus AG. Die zweite Komponente ist ein Videokonferenzsystem, das wir für den Austausch mit unseren Konsilnehmerinnen und Konsilnehmern zur Verfügung stellen. Wir bieten verschiedene zertifizierte Dienste zur Auswahl an. Es steht den Konsilnehmerinnen und Konsilnehmern grundsätzlich frei, welches System sie verwenden möchten. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass eine flexible Anpassung des Arbeitsprozesses an den Klinikalltag ein großer Vorteil ist. In manchen Fällen reicht es aus, den Konsilbericht zu übermitteln und kurz telefonisch Rücksprache zu halten mit der konsilnehmenden Ärztin bzw. dem konsilnehmenden Arzt. Eine Videokonferenz ist insbesondere in komplizierten Fällen mit einer gemeinsamen kollegialen Besprechung hilfreich.

Jetzt möchten wir uns der praktischen Umsetzung eines Telekonsils zuwenden. Dabei stellt sich die Frage, welche konkreten Schritte für ein erfolgreiches Telekonsil erforderlich sind. Könnten Sie uns bitte diese Schritte erläutern?

Sobald ein Konsil angemeldet wird, erhalte wir automatisch eine E-Mail-Benachrichtigung darüber, dass entweder eine neue Fallakte erstellt oder ein neues Dokument in einer vorhandenen Akte hinzugefügt wurde. Das ist für uns praktisch der Start des Konsils. Im nächsten Schritt sichten wir die Dokumente in der Fallakte. Die übermittelten Bilddateien werden parallel in unser System übertragen, um sie anschließend beurteilen zu können. Die Bilder werden in der Regel in der nächsten Röntgenbesprechung, meist am nächsten Morgen, fachradiologisch vorgestellt und interdisziplinär besprochen. Danach geben wir den Konsilnehmerinnen und Konsilnehmern eine kurze Rückmeldung zum aktuellen Sachstand des Konsils. Das bedeutet, dass die Fragestellung auf Grundlage übermittelten Daten beurteilt werden kann. Mit dieser Rückmeldung möchten wir Vertrauen schaffen und Sicherheit im Hinblick auf den digitalen Workflow gewährleisten. Grade in der Anfangszeit besteht häufig die Unsicherheit, ob bei der Übermittlung möglicherweise etwas schief gegangen ist. Sobald wir die Therapieempfehlung fertiggestellt haben, nehmen wir telefonischen Kontakt mit der Konsilnehmerin bzw. dem Konsilnehmer auf. Falls erforderlich oder gewünscht, bieten wir auch eine Videokonferenz an. Wir gehen dabei ganz auf die Wünsche der Konsilnehmer:innen ein. Es ist mir wichtig zu betonen, dass wir unseren mit unseren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam und konstruktiv daran arbeiten, die bestmögliche Behandlungsempfehlung zu entwickeln. Im Zentrum steht dabei der Austausch von Wissen.

Welche Potentiale und Chancen ergeben sich durch die Nutzung von Telekonsilen?

Im Zuge der Zentralisierung von Leistungen (Mindestfallzahlen) wird das vorhandene Expertenwissen vermehrt in Expertenzentren gebündelt. Dies führt dazu, dass es mutmaßlich zukünftig weniger Zentren gibt, was auch in der onkologischen Chirurgie beobachtet werden kann. Studien zeigen, dass es in bestimmten Fällen sinnvoll ist, eine Zweitmeinung aus einem Expertenzentrum einzuholen, um den Behandlungserfolg zu optimieren. Um den Menschen in NRW lange Anfahrtswege zu ersparen und eine wohnortnahe Behandlung zu ermöglichen, ist langfristig eine Lösung mittels telemedizinischer Anwendungen erforderlich. Die größte Chance ist also die Verbesserung der Behandlungsqualität. Das Telekonsil hat für die Krankenhauslandschaft, auch über NRW hinaus, somit einen starken Innovationscharakter. Die Potentiale sind hier jedoch noch längst nicht ausgeschöpft. Wir stehen erst am Anfang. Um das Telekonsil flächendeckend und im Regelbetrieb nutzen zu können, müssen die genannten Herausforderungen in den konsilnehmenden Krankenhäusern überwunden werden. Zudem gibt es noch viele Fachdisziplinen, in denen Telekonsile noch nicht regelhaft genutzt werden. Daher sind wir als Konsilgeber darum bemüht, dass Angebot an Indikationen gemeinsam mit dem Virtuellen Krankenhaus NRW sukzessive weiterzuentwickeln. Letztendlich ist es aber die Aufgabe aller Akteure im Gesundheitswesen, den digitalen Wandel der Versorgungsstrukturen zu fördern, um letztendlich die Versorgungsqualität zu verbessern.

Vielen Dank für dieses Interview Herr Dr. Eickhoff. Wir wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.